Künstliche Intelligenz im Schweizer Recht: Chancen, Risiken und Praxis
Wie KI die juristische Arbeit verändert – ein Überblick für Mandanten, Unternehmen und Behörden
Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich rasant – und mit ihr die Frage, wie diese Technologie in der juristischen Praxis eingesetzt werden kann. Ob im Verwaltungsverfahren, in Anwaltskanzleien oder im Zivilprozess: KI ist auch im Schweizer Recht angekommen. In diesem Beitrag zeigen wir praxisnah, wo KI heute schon genutzt wird, welche rechtlichen Herausforderungen bestehen und worauf Sie als Unternehmer, Behörde oder Rechtsanwender achten sollten.
Was versteht man unter Künstlicher Intelligenz (KI)?
Künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für Systeme, die eigenständig lernen, Entscheidungen treffen und aus grossen Datenmengen Muster erkennen können. Besonders verbreitet sind derzeit sogenannte «schwache KI»-Anwendungen – etwa Chatbots, Spracherkennung oder Large Language Models (LLM’s) wie ChatGPT (Reiter, AJP 2022, S. 985; Schwaninger/Fritsch, Anwaltsrevue 2024, S. 360).
In der Schweiz gibt es bislang keine gesetzliche Definition für KI. Unternehmen und Behörden orientieren sich teilweise am EU AI Act, der 2024 in Kraft getreten ist, jedoch (noch) nicht für das Schweizer Recht verbindlich ist.
KI im Verwaltungsverfahren: Effizienz trifft auf rechtliche Schranken
Die öffentliche Verwaltung testet und nutzt KI-basierte Systeme, etwa für die vorausschauende Wartung von Infrastruktur oder einfache Dialogsysteme. Bei komplexeren Anwendungen, insbesondere bei automatisierten Entscheiden mit Ermessensspielraum, stösst KI jedoch an rechtliche Grenzen. Das Verwaltungsermessen – ein zentrales Element des Verwaltungsrechts – lässt sich nicht ohne Weiteres an Maschinen delegieren. Auch Fragen der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Menschenwürde sind zentral (Reiter, AJP 2022, S. 986 f.; Braun-Binder, SJZ 2019, S. 468).
Wichtig für Behörden: Vollautomatisierte Entscheide sind im Verwaltungsverfahren grundsätzlich unzulässig. Ein unterstützender Einsatz kann hingegen Effizienzgewinne bringen, sofern Transparenz und Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleiben.
KI in der Justiz: Unterstützung ja – Ersatz nein
Gerade im Zivilprozess könnte KI helfen, komplexe Fälle effizienter zu bearbeiten. Sie kann Richterinnen und Richtern bei der Analyse grosser Datenmengen oder bei der Suche nach früherer Rechtsprechung unterstützen. Eine vollständige Ersetzung menschlicher Rechtsprechung ist jedoch weder technisch noch rechtsstaatlich denkbar. Denn richterliche Entscheidungen erfordern Empathie, Ermessensausübung und Kontextverständnis – etwa bei der Verhältnismässigkeit gemäss Art. 5 Abs. 2 BV (Haberbeck, ZZZ 2023, S. 101 ff.).
KI in der Anwaltskanzlei: Effizienzbooster mit Verantwortung
In der Anwaltswelt wird KI zunehmend zur Unterstützung bei juristischen Recherchen, bei der Texterstellung oder im Vertragsmanagement genutzt. Besonders gefragt sind Tools auf Basis von Sprachmodellen wie ChatGPT. Diese ermöglichen erhebliche Effizienzgewinne – bergen aber auch Risiken im Umgang mit sensiblen Daten, Berufsgeheimnis und Datenschutz (Schwaninger/Fritsch, Anwaltsrevue 2024, S. 361 ff.).
Tipp für Kanzleien: KI-Systeme dürfen nur genutzt werden, wenn sie datenschutzkonform eingesetzt und die Ergebnisse kritisch geprüft werden. Juristische «Halluzinationen» sind real – auch in gut formulierten Antworten.
Vertragsauslegung durch KI: Realität oder Zukunftsvision?
Die Auslegung von Verträgen zählt zu den häufigsten Aufgaben in der juristischen Praxis. Eine vollständige Automatisierung durch KI ist derzeit kaum möglich, da die vom Bundesgericht bevorzugte subjektive Auslegung auf der Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens basiert – ein hochindividueller Vorgang (BGer 4A_643/2020, 22.10.2021, E. 4). Die objektive Auslegung nach dem Vertrauensprinzip (Art. 2 ZGB) wäre technisch zugänglicher, weshalb die Lehre über eine methodische Neuausrichtung diskutiert (BSK OR I-Zellweger-Gutknecht, Einl. Vor Art. 1 ff. N 79b ff.; Müller, AJP 2024, S. 1306 ff.).
Wer haftet bei KI-Fehlern?
Ein zentrales Thema im Umgang mit KI ist die Haftung: Wer trägt die Verantwortung, wenn ein KI-System einen Schaden verursacht? Weil KI nicht rechtsfähig ist, haften stets Menschen – z. B. Entwickler, Betreiber oder Anwender. Das bestehende Haftungsrecht (z. B. Art. 41 und 55 OR) greift teilweise, bietet aber bei autonomen Systemen nicht in allen Fällen ausreichenden Schutz. Infolgedessen stossen diese Normen an ihre Grenzen, wenn ein KI-System weitgehend autonom agiert und der menschliche Einfluss nur schwer nachweisbar ist. In solchen Fällen ist unklar, ob das bestehende Haftungssystem noch sachgerecht greift oder ob es gesetzgeberischer Ergänzungen bedarf (Quadroni, HAVE 2021, S. 345 ff.; Batache, RnT 2023, S. 3 f.).
Fazit für Unternehmen: Die vertragliche und deliktische Haftung sollte in KI-basierten Geschäftsmodellen frühzeitig rechtlich abgesichert werden.
Fazit: KI im Schweizer Recht – Potenziale ausschöpfen, Risiken kontrollieren
Künstliche Intelligenz bietet enorme Chancen für die Rechtspraxis – ob in der Verwaltung, im Gericht oder in der Kanzlei. Sie bringt Effizienz, neue Möglichkeiten der Analyse und besseren Zugang zu Informationen. Gleichzeitig erfordert sie klare Regeln, kritisches Denken und ein starkes Bewusstsein für ethische und rechtliche Grenzen.
Unsere Kanzlei berät Sie gerne zu Fragen rund um den rechtssicheren Einsatz von KI – praxisnah, fundiert und mit Blick auf Ihre individuellen Bedürfnisse.